Die Entscheidung, eine Berufung einzulegen, gehört zu den zentralen Weichenstellungen nach Abschluss des erstinstanzlichen Strafverfahrens. Sie stellt sich regelmäßig dann, wenn das mit der Verteidigung verfolgte Ziel – etwa ein Freispruch, eine mildere Strafe oder die Abwehr einer Nebenfolge – nicht erreicht worden ist. In solchen Fällen ist die Berufung das naheliegende Mittel, um eine erneute tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Urteils zu erreichen. Der Berufung kommt daher eine erhebliche Bedeutung zu, weil sie eine erneute Beweisaufnahme und damit die Überprüfung der Schuldfrage ermöglicht.
Die Berufung unterliegt strengen gesetzlichen Regelungen. Sie kann nur innerhalb festgelegter Fristen eingelegt werden. Die formalen Anforderungen sind präzise einzuhalten, da bereits geringfügige Fehler zur Unzulässigkeit und damit zum Verlust des Rechtsmittels führen können. Eine sorgfältige rechtliche Prüfung ist daher unverzichtbar, bevor Betroffene den Entschluss fassen, Berufung einlegen zu lassen.
Nachfolgend erläutern wir, wann eine Berufung sinnvoll ist, welche Fristen gelten und wie das Berufungsverfahren abläuft.
Eine Berufung ist grundsätzlich gegen Urteile der ersten Instanz des Amtsgerichts möglich. Der Berufung kommt als Rechtsmittel eine erhebliche Bedeutung zu, da hierdurch eine neue Tatsacheninstanz eröffnet wird. Das heißt, dass der Anklagevorwurf im Rahmen der Berufungsinstanz neu überprüft wird. Die Berufung ermöglicht dabei eine umfassende Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung. Sowohl die rechtliche Würdigung als auch die Tatsachenfeststellungen können erneut geprüft werden. Die Berufungsinstanz ist aus diesem Grund berechtigt, Beweise erneut zu erheben, Zeugen erneut zu vernehmen und eine eigene Sachverhaltsbewertung vorzunehmen. In der Praxis können in der Berufungsinstanz etwaige Defizite der amtsgerichtlichen Prüfung korrigiert werden, sodass es sich regelmäßig lohnt eine Berufung einzulegen.
Insbesondere ein Sachverständigenbeweis kann durch den zusätzlichen Zeitablauf besser vorbereitet und daher effektiver genutzt werden. Die Berufung hat zur Folge, dass das Urteil der ersten Instanz mangels Rechtskraft noch nicht vollstreckt werden kann. Es ist von hoher Relevanz schnell zu handeln, da die Berufungsfrist lediglich eine Woche ab Verkündung bzw. Zustellung des Urteils beträgt.
Gegen welche Urteile kann eine Berufung eingelegt werden?
Eine Berufung ist gegen die amtsgerichtlichen Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts sowie des Jugendrichters und des Jugendschöffengerichts zulässig.
Gemäß § 314 Abs. 1 StPO muss die Berufung bei dem Gericht eingereicht werden, dessen Entscheidung angefochten wird, und nicht direkt beim Berufungsgericht.
Wann muss die Berufung eingelegt werden?
Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt gemäß § 314 Abs. 1 StPO eine Woche ab Verkündung des Urteils. War der Angeklagte während der Urteilsverkündung – die erst mit dem letzten Wort der Bekanntgabe der Urteilsgründe endet – nicht durchgehend anwesend, beginnt die Wochenfrist nach § 314 Abs. 2 Hs. 1 StPO erst mit der Zustellung des vollständigen, mit Gründen versehenen Urteils an den Angeklagten persönlich.
Die Wochenfrist ist nicht verlängerbar; eine Versäumung kann nur durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden.
Wann kann bei einer Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden?
Wenn die Frist eindeutig verstrichen ist, ohne dass den Angeklagten ein Verschulden daran trifft, kommt der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine enorme Bedeutung zu. Der Verteidiger muss rechtzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen und zugleich – gegebenenfalls erneut – Berufung einlegen. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet nicht das Amtsgericht, sondern das Berufungsgericht; gegen dessen Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft.
Kann sich mein Urteil durch Einlegung einer Berufung verschlechtern?
Staatsanwälte legen mitunter sogenannte Sperrberufungen ein, um dem Angeklagten, der selbst Berufung eingelegt hat, den Schutz des Verbots der reformatio in peius zu entziehen und so eine Verschlechterung seiner Rechtsposition in der Berufungsinstanz zu ermöglichen.
Für die Verhandlung und Entscheidung über Berufungen gegen Urteile des Strafrichters sowie des Schöffengerichts sind gemäß §§ 60, 74 Abs. 3 GVG stets die kleinen Strafkammern der Landgerichte zuständig.
Was wird im Rahmen der Berufung überprüft?
Wird eine Berufung zugelassen, dient sie nicht lediglich der Kontrolle des amtsgerichtlichen Urteils auf etwaige Fehler in der Tatsachenfeststellung oder Rechtsanwendung. Stattdessen wird der Streitfall im Umfang der Anfechtung umfassend neu verhandelt: Der Sachverhalt wird erneut festgestellt und rechtlich eigenständig gewürdigt. Dabei können auch bislang nicht vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel berücksichtigt werden. Die Berufung eröffnet somit eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz.
Kann auf eine Berufung verzichtet werden?
Ein Verzicht auf die Berufung ist zulässig, sobald das Rechtsmittel statthaft ist, also nach Erlass des Urteils und bereits vor Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe, und zwar bis zum Ablauf der Berufungseinlegungsfrist. Ebenfalls darf die Berufung bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel zurückgenommen werden
Muss die Berufung begründet werden?
Die Berufung muss – im Gegensatz zur Revision – nicht zwingend begründet werden. Die Begründung der Berufung ist dennoch von wesentlicher Bedeutung. Die Begründung eröffnet dem Beschwerdeführer erstens die Gelegenheit, seine Einwände gegen das erstinstanzliche Urteil substantiiert darzulegen und dessen Fehler aufzuzeigen. Zweitens erlaubt sie ihm, den Gegenstand der Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte zu beschränken (§ 318 StPO). Drittens bietet sie die Möglichkeit, neue Beweisanträge zu stellen oder zu begründen, welche Teile der bisherigen Beweisaufnahme auch im Berufungsverfahren erneut durchzuführen sind.
Sofern im erstinstanzlichen Urteil nicht das gewünschte Ergebnis erzielt wurde, ist in jedem Fall sorgfältig zu prüfen, ob eine Berufung angestrebt wird. Gleichwohl kann die Einlegung einer Berufung auch in Fällen sinnvoll sein, in denen das Urteil im Ergebnis dem Verteidigungsziel weitgehend entspricht. In Betracht kommt dies insbesondere dann, wenn es im Interesse des Mandanten liegt, die Rechtskraft des Urteils bewusst hinauszuschieben (§ 316 Abs. 1 StPO). Ein solches Vorgehen kann taktisch geboten sein, etwa um den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen zeitlich zu steuern.
So kann etwa die Verzögerung der Rechtskraft dazu dienen, ein angeordnetes Fahrverbot nicht sofort wirksam werden zu lassen (§ 44 Abs. 2 S. 1 StGB), oder den bevorstehenden Strafantritt hinauszuschieben, um berufliche oder familiäre Verpflichtungen zu erfüllen oder eine geordnete Übergabe von Pflichten zu ermöglichen. Ebenso kann ein Verteidiger die Zeit bis zur Berufungsverhandlung nutzen, um weitere entlastende Beweismittel zu beschaffen oder eine einvernehmliche Lösung mit der Staatsanwaltschaft anzustreben.
Welche Risiken bestehen bei einer Berufung für den Mandanten?
Die Einlegung einer Berufung ist stets mit Risiken verbunden. In der Berufungsinstanz besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer reformatio in peius, also einer Verschlechterung der Entscheidung, sofern auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt oder Sperrberufung eingelegt hat. Zudem kann eine erneute Beweisaufnahme für den Mandanten psychisch belastend sein und zusätzliche Kosten verursachen. Auch kann sich die öffentliche Aufmerksamkeit durch eine weitere Verhandlung erneut auf den Angeklagten richten – ein Aspekt, der bei sensiblen Verfahren nicht unterschätzt werden darf.
Eine Berufung kann von mehreren Personengruppen eingelegt werden:
Die Zulässigkeit der Berufung setzt voraus, dass der Angeklagte durch das Urteil beschwert ist. Eine solche Beschwer liegt nur dann vor, wenn das Urteil seine Rechte unmittelbar beeinträchtigt. Eine Berufung ist ausgeschlossen, wenn der Angeklagte freigesprochen wird.
Nach § 296 StPO ist die Staatsanwaltschaft befugt, gegen jedes Urteil Berufung einzulegen – auch dann, wenn dieses ihrem eigenen Antrag entspricht. Sie kann das Rechtsmittel sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Angeklagten ergreifen. Die Beschwer der Staatsanwaltschaft ergibt sich daraus, dass sie durch jede gerichtliche Entscheidung, die möglicherweise gegen das Gesetz verstößt, als beeinträchtigt gilt.
Der Nebenkläger verfügt gemäß § 401 Abs. 1 StPO über ein eigenständiges Rechtsmittelrecht, das jedoch durch § 400 Abs. 1 StPO maßgeblich beschränkt wird. Er kann das erstinstanzliche Urteil nur insoweit anfechten, als es ein Nebenklagedelikt betrifft; eine Anfechtung hinsichtlich der Rechtsfolgen ist ihm dagegen verwehrt.
Gemäß § 318 StPO kann die Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Erfolgt eine solche Beschränkung jedoch erst nach unbeschränkter Einlegung und außerhalb der Berufungsbegründungsfrist, handelt es sich um eine Teilrücknahme der Berufung. In diesem Fall bedarf der Verteidiger einer besonderen Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO; nach Beginn der Hauptverhandlung ist zudem die Zustimmung des Gegners erforderlich.
Eine Beschränkung ist grundsätzlich wirksam, wenn die angefochtenen Teile des Urteils rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, sodass die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne Widerspruch zu den nicht angegriffenen Urteilsteilen ergeht.
In der Praxis wird die Berufung in der Regel zunächst unbeschränkt eingelegt. Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe ist sodann zu prüfen, ob eine Beschränkung im Interesse des Angeklagten zweckmäßig und empfehlenswert ist. Im Zweifel sollte das Rechtsmittel unbeschränkt aufrechterhalten werden.
Die Berufung und die Revision unterscheiden sich vor allem in ihrem Prüfungsumfang.
Anstelle einer Berufung kann gegen Urteile des Amtsgerichts gemäß § 335 Abs. 1 StPO auch das Rechtsmittel der Sprungrevision eingelegt werden. Diese besondere Form der Revision überspringt die Berufungsinstanz und richtet sich unmittelbar an das Revisionsgericht. Sie bietet sich insbesondere dann an, wenn ausschließlich Rechtsfragen zur Überprüfung gestellt werden sollen und eine erneute Tatsachenwürdigung in der Berufungsinstanz entbehrlich oder aussichtslos erscheint. Die Wahl des richtigen Rechtsmittels hängt maßgeblich davon ab, welches Ziel mit der Verteidigung verfolgt wird:
Nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils sollte geprüft werden, welche Möglichkeiten in Betracht kommen, um die anstehende Zeitspanne effektiv zu nutzen.
Die Berufungshauptverhandlung richtet sich gemäß § 332 StPO im Wesentlichen nach dem Ablauf der erstinstanzlichen Hauptverhandlung. Nach Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit fragt der Vorsitzende regelmäßig den Verteidiger nach dem Ziel der Berufung.
Der Vorsitzende berichtet zunächst über den bisherigen Verfahrensgang und verliest das angefochtene Urteil zumindest auszugsweise (§ 324 Abs. 1 S. 2 StPO).
Im Anschluss wird der Angeklagte zur Sache vernommen, worauf die Beweisaufnahme folgt.
Nach Abschluss der Beweisaufnahme hält gemäß § 326 StPO zunächst der Berufungsführer das Plädoyer. Es kann sodann zu folgenden Konstellationen kommen:
Trotz der insgesamt eher geringen Zahl eingelegter Berufungen ist die Quote erfolgreicher oder zumindest teilweise erfolgreicher Berufungsverfahren in der Praxis beachtlich. Dies zeigt, dass die zweite Instanz eine reale Chance zur Korrektur erstinstanzlicher Fehlurteile oder überzogener Strafzumessungen bietet.
Ein frühzeitiges und ausführliches Beratungsgespräch mit dem Mandanten ist vor Einlegung der Berufung unerlässlich. Unmittelbar nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils besprechen wir mit unserem Mandanten die weiteren Handlungsmöglichkeiten, um die Chancen auf ein günstiges Berufungsurteil zu verbessern. Nur wenn dieser die Chancen, Risiken und möglichen strategischen Zwecke einer Berufung nachvollziehen kann, lässt sich eine fundierte und im besten Sinne verantwortungsvolle Entscheidung treffen.
Vor diesem Hintergrund ist eine sorgfältige Analyse der Erfolgsaussichten für die Entscheidung über die Einlegung der Berufung von zentraler Bedeutung. Dazu gehört eine sorgfältige Analyse der Urteilsbegründung, der Beweiswürdigung und möglicher Rechtsfehler ebenso wie die Berücksichtigung persönlicher, beruflicher und sozialer Interessen des Mandanten. Die Entscheidung über die Einlegung der Berufung darf daher niemals schematisch, sondern nur nach umfassender Abwägung sämtlicher rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte getroffen werden. Gemeinsam mit unserem Mandanten besprechen wir ausführlich, welches konkrete Ziel mit der Berufung erreicht werden soll, ob dieses realistisch ist und mit welchen rechtlichen und tatsächlichen Argumenten wir es begründen können. Dabei machen wir deutlich, dass die Berufung keine bloße Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens ist, sondern eine eigenständige zweite Tatsacheninstanz, die sowohl neue Chancen eröffnet als auch Risiken in sich trägt.
Nachdem Sie beim Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) verurteilt wurden, können wir binnen einer Woche zunächst ein „unbestimmtes Rechtsmittel“ einlegen. Nach der Zustellung der Urteilsgründe können wir überprüfen, ob in Ihrem Fall eine Berufung sinnvoll erscheint oder eine Revision zu bevorzugen ist.
Sofern eine Berufung eingelegt werden soll, formulieren wir den Berufungsschriftsatz und legen diesen bei Gericht ein.
Wir prüfen alle relevanten Beweismittel und bereiten Sie auf das Berufungsverfahren vor.